Rollender Kinderbuchladen Bumper

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Der gem�tliche Bauch des Busses mit Namen �Bumper� beherbergt eine Menge origineller, sorgf�ltig ausgew�hlter B�cher. Rollender Leseklub und Buchladen in einem, bringt das ungew�hnliche Mobil seit zwei Jahren kleine und gro�e Leser in Moskau und den Regionen zum Staunen. Erfahren Sie, warum Lesen Kindern n�tzt und wie man einen �deutschen B�cherbus� nach Russland bringt.


Ein Interview mit der Initiatorin des Projekts �Bumper� Anna Tichomirowa.

Welches waren Ihre pers�nlichen Motive f�r die Gr�ndung von �Bumper�, des rollenden Buchladens und Leseklubs f�r Kinder, nachdem Sie zuvor 15 Jahre mit schwierigen Jugendlichen gearbeitet hatten?

Mit schwierigen Jugendlichen habe ich nicht nur gearbeitet, sondern ich habe ein Zentrum f�r sie ins Leben gerufen, das immer noch existiert und aktiv ist. Es gab eine Zeit, da wollte ich �berhaupt aufh�ren zu arbeiten, wollte mich meinen Kindern, dem Haushalt und der Familie widmen. Aber dann stellte sich heraus, dass das f�r mich keine Option ist. Es entstand der Wunsch ein Projekt zu machen, das sowohl ich selbst als auch meine Kinder spannend finden und bei dem wir uns alle gut aufgehoben f�hlen.

Ich finde: Kinder m�ssen nur die richtigen B�cher lesen, dann gibt es auch keine schwierigen Jugendlichen. Nat�rlich sind B�cher kein Allheilmittel. Die Frage ist doch die: Warum lesen Kinder nicht? Und was kann man tun, damit sie lesen? Meine Aufgabe ist es dem Jugendlichen oder Kind zu helfen, im Buch etwas f�r sich selbst zu entdecken. Das Buch kann f�r Kinder Quelle einer interessanten, gesunden Entwicklung sein. Und ich m�chte ihnen Zugang zu dieser Quelle verschaffen.

Wir haben ein gro�es Ziel, f�r dessen Verwirklichung wir Unterst�tzung suchen. Wir m�chten helfen B�cher aus psychologischer Sicht auszuw�hlen, das hei�t: die Auswahl geeigneter B�cher beratend begleiten und dabei, sagen wir es einmal so, aktuell anliegende Probleme einbeziehen. Wahrscheinlich k�nnte man das als �Bibliotherapie� bezeichnen.

Sehen Sie das Kind als eine kompetente Pers�nlichkeit, der spezifische Probleme eigen sind?

Erwachsene haben meist eine etwas herablassende Sicht auf die Kindheit. So als ob Kinder keine vollwertigen Pers�nlichkeiten seien. Sp�ter einmal, wenn sie gro� sind, dann kann man mit ihnen normal reden. Und bis dahin gen�gen f�r sie B�cher, die einfach nur sch�n bunt sind, mit gro�en Bildern, Plastikkulleraugen und m�glichst auch mit Ger�uschkulisse. Dann, so glaubt man, ist das Kind zufrieden. Was das Buch f�r einen Inhalt hat, ist nebens�chlich. Das Kind entwickelt aber doch bestimmte Vorlieben, es nimmt k�nstlerische Werke durchaus wahr, was wir jedoch aus irgendeinem Grund vernachl�ssigen.

Inzwischen gibt es schon viele B�cher, die das Kind ernst nehmen, und das betrifft sowohl den Inhalt als auch die Illustrationen und das Design. Die B�cher aus dem Verlag Rosowy Shiraf (Rosa Giraffe) beispielsweise, unter anderen die Neuauflagen von Eric Carle, der Zeichnungen auf Papier brachte, ausschnitt und Kollagen zauberte� Genau so sieht ein differenzierter und achtsamer Umgang mit der Differenziertheit kindlicher Wahrnehmung aus.

Ist in Russland eine Art theoretische oder philosophische Grundlage auszumachen, an der sich Verleger, Buchl�den, Autoren und Illustratoren orientieren? Eine gemeinsame Idee alternativer Erziehung vielleicht?

Der Psychologe Lew Wygotski (1896-1934) hat selbst heute weltweit einen gr��eren Bekanntheitsgrad als in Russland. Er war Repressionen ausgesetzt und ist bei uns vergessen. Momentan steht seine Theorie von der �Zone der n�chsten Entwicklung� im Blickpunkt. Je mehr Dinge ein Kind sieht und benennt, umso schneller entwickelt sich sein Denken. Die �Zone der n�chsten Entwicklung� ist das, was ein Kind nur mit Hilfe eines Erwachsenen erschlie�en kann. Und in dieser Zone m�ssen wir mit dem Kind arbeiten, gemeinsam mit ihm das erschlie�en, was ihm neu ist.

F�r das Projekt �Bumper� spielt das Vorlesen eine wichtige Rolle. Wir sprechen oft dar�ber, dass ein bestimmtes Buch nicht dazu da ist, es dem Kind in die Hand zu geben, sondern dazu, dass man es gemeinsam mit ihm liest und �ber das Gelesene spricht.

Wie f�rdern Sie dieses gemeinsame Lesen?

Wir haben eine spezielle Veranstaltungsreihe zum Thema Vorlesen. Die Idee ist folgende: Wir laden bekannte Leute ein, f�r die sich die Eltern interessieren. Also nicht Idole, die bei Kindern beliebt sind, sondern bei den Eltern. Und diese Idole lesen vor. So begreifen die Eltern den Wert dieses Prozesses besser.

Warum geh�rt zum Lesen eine besondere Atmosph�re?

Wenn die Kinder in den Bus hineinkommen, kommt von ihnen h�ufig ein �Wow!�. Das hei�t: Die Kinder tauchen mit Freude in die B�cherwelt ein. Es entstehen positive Emotionen und positive Energie, die ihnen weiteren Ansto� geben. Und wenn eine Schulklasse zu uns kommt, dann herrscht Chaos! Die Kinder nehmen alle B�cher heraus, schauen alles an und bl�ttern eifrig. Und die Lehrer schimpfen: �Nicht anfassen! Finger weg! Legt das wieder hin!� Wir hingegen legen gerade darauf gro�en Wert: Sollen sie ruhig alles anfassen, sich etwas aussuchen. Nat�rlich wird so manche Seite auch zerrissen. Aber daf�r haben die Kinder die M�glichkeit, die B�cher wirklich zu ber�hren, in natura.

In Deutschland gibt es ein System von circa 100 B�cherbussen, die als rollende Bibliotheken an entlegene Orte fahren und dort 30 Minuten zur Aus- und R�ckgabe von B�chern haltmachen.

Und was das f�r Busse sind! Unserer ist schon ganz klapprig, schon 32 Jahre alt. In Lettland wird ein wunderbarer B�cherbus zum Verkauf angeboten, der in Deutschland schon zehn Jahre lang unterwegs war. Nach dortigen Ma�st�ben ist er schon zu alt. Den k�nnte man kaufen. Er ist nutzungsbereit und einfach ideal ausgestattet. Mit Klimaanlage, Heizung, B�cherregalen. An alles ist gedacht. Wir w�ssten sogar, wo wir das Geld herbekommen. Aber nach dem Eintritt Russlands in die WTO d�rfen wir keinen gebrauchten Bus mehr ins Land einf�hren. So ein B�cherbus aus Deutschland ist unser gr��ter Traum. F�r einen neuen haben wir kein Geld. Ich wei� nicht, vielleicht l�sst sich der Traum doch irgendwann verwirklichen. Wir wollen uns jetzt an Mercedes wenden und um Hilfe bitten.

Sie wurden doch als bestes soziales Projekt vom �Bussineserfolg 2011� ausgezeichnet und sogar einen neuen Bus geschenkt bekommen �

Ja, das war in aller Munde. Wir sind begl�ckw�nscht worden, alle haben sich mit uns gefreut. Aber passiert ist bisher nichts.

Wie w�hlen Sie die B�cher f�r �Bumper� aus?

Nat�rlich muss man ein Buch selbst lesen, es muss einem gefallen. Nur dann kann man es verkaufen. Dieses ganz einfache Kriterium steht auch in direktem Bezug zum unternehmerischen Aspekt. Andererseits gibt es B�cher, die mir sehr gefallen, die ich aber nicht verkaufen kann, weil sie keine Abnehmer finden. Wie die B�cher aus dem Verlag KompasGid zum Beispiel. Weil unsere Menschen zu diesen B�chern nur schwer Zugang finden. Diese B�cher zu vermarkten, �ber sie zu erz�hlen, sie in Programme einzubinden kostet gro�e Anstrengungen.

Sie machen nicht nur in Moskau Station, sondern sind oft auch in den Regionen unterwegs, wo Sie Kinderheime besuchen und Workshops durchf�hren �

Ja, all das machen wir. In den Regionen erlebt man so manche �berraschung. Allein in der Stadt Korenowsk verkaufen wir zum Beispiel mehr als in der gesamten Region Krasnodar. In Korenowsk sind wir schon mehrmals gewesen, haben vor der Stadtbibliothek haltgemacht. Da gibt es sogar eine Babuschka, die bei uns eine unglaubliche Menge B�cher kauft. Zudem schenkt sie uns immer noch einen Sack �pfel und Birnen. In Korenowsk werden wir immer schon sehns�chtig erwartet. Offensichtlich besteht Bedarf an dem, was wir machen, und das freut uns.

Wir besuchen regelm��ig Kinderheime, unter anderem auch in Nischni Nowgorod. Als wir das erste Mal dort waren, hatte ich Augenschmerzen. Meine Augen waren ganz rot und ich hatte eine Brille aufgesetzt. Als wir zum zweiten Mal dort waren, sagten die Kinder: O ja, wir erinnern uns an Sie, Sie hatten damals rote Augen. Und dann stellte sich heraus, dass sie sich nicht nur an mich erinnern, sondern au�erdem an alle B�cher, die sie auch alle gelesen hatten und nun auf Nachschub warten.

Demn�chst gibt es f�r �Bumper� einen Grund zum Feiern?

Ja, wir haben Geburtstag. �Bumper� ist w�hrend der Internationalen Messe f�r intellektuelle Literatur Non/Fiction entstanden, dort wurde das Projekt gewisserma�en aus der Taufe gehoben. Deshalb sehen wir in dieser Messe ein Symbol f�r unseren Start. Dort pflegen wir regen Kontakt mit Besuchern, Freunden und Autoren. Wir freuen uns �ber die Begegnung mit ihnen und tauschen uns aus. Wir w�nschen uns, dass recht viele Besucher kommen und wir neue Mitstreiter gewinnen!

Anna Tichomirowa, Initiatorin des sozialen Projektes �Bumper�, Diplom-Psychologin; arbeitete circa 15 Jahre mit schwierigen Jugendlichen und gr�ndete an der St�dtischen psychologisch-p�dagogischen Universit�t Moskau das Zentrum �Perekrjostok� (�Wegkreuzung�) zur Unterst�tzung von Jugendlichen aus Risikogruppen.

Die Fragen stellte Andreas Fertig.
Goethe-Institut Russland.
�bersetzung: Marlies Wenzel
November 2012

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.

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