Gudrun Gut – „Wildlife“ gibt es auch in den besten Gärten

Гудрун Гут – «Wildlife» в лучших садах?

Gärtnern ist vielleicht besser als Sport, aber wohl bei weitem nicht so spannend wie das Musikmachen. Deswegen beschäftigt sich Gudrun Gut auch in ihrem Versteck in der Uckermark viel lieber mit eigener Musik. Dies beweist eindrucksvoll ihre EP „Best Garden“ und ihr Longplayer „Wildlife“. Das Kuratieren von Projekten an der Schnittstelle zwischen Musik, Kunst und Literatur befreit und beflügelt sie ebenso.

Moskau. September 2012

Frau Gut, wo erreiche ich Sie gerade?

Ich bin im Moment in der Uckermark. Das ist nördlich von Berlin, auf dem Land, wo ich die Hälfte meiner Zeit verbringe. Am Wochenende fand hier ein großes Kunst-Literatur-Musik-Festival statt, das UM-Festival heißt. UM steht natürlich für Uckermark.

Ich würde gerne ein Stück zurückgehen und Sie fragen, warum nach dem Erfolg von Malaria! und auch Matador eine Band als produzierende Einheit für Sie nicht mehr in Frage kam?

Ich sehe das als eine Entwicklung. Ich hab nicht gesagt: „Ah, ich muss jetzt die Bands los werden!“ Ich war sehr glücklich mit den Bands. Mit Matador haben wir damals viele neue Gründe erschlossen, zum Beispiel musizieren mit dem Computer. Es war für mich aber auch eine Art Emanzipation. Bei der Arbeit mit Myra Davies an dem Miasma-Projekt kümmerte ich mich nur um die Musik und Myra hat nur getextet. Das war für mich eine neue, tolle Erfahrung. Bei den Bands dagegen musste man immer alles ausdiskutieren. Letztes Jahr haben wir aber nochmal mit Matador geprobt. Das war echt schön!

Ansonsten machte ich nebenbei sowohl meine Solosachen, als auch schräge Theaterprojekte, immer mit Freunden zusammen. In dem Projekt Madame Bovary (1990–91) mit Manon P. Duursma und Jayney Klimek habe ich alle Stücke geschrieben. Das war schon ein ganz tolles, superinteressantes Crowd-Projekt. Denn wir haben unheimlich viele Leute mit einbezogen, die nichts mit dem Theater oder gar mit Kunst zu tun hatten. Madame Butterfly wurde beispielsweise von einer Imbiss-Verkäuferin gespielt.

Dann kam der Ocean Club – eine Gemeinschaft, ein Künstlerkollektiv. Später wurde eine gleichnamige Radiosendung daraus.

Eigentlich plante ich Ende der 1990er ein Solo-Album. Bei der Arbeit wurde mir aber schnell langweilig. Ich habe mich auch nicht so richtig als Sängerin gefühlt. Daraufhin fragte ich Anita Lane, Danielle de Picciotto, Jayney Klimek, auch Blixa Bargeld, ob sie nicht mitmachen würden. Und daraus wurde für mich mein erstes Solo-Album. Aber es wird nicht so gehandelt. Das heißt Members of the Ocean Club (1996). Aus dem Album entstand dann auch die Ocean Club, ein loses Team von DJs und Musikern. Sie kamen und gingen. Einige blieben länger. Es gab auch kleine Mitgliedskarten. Als Club im Club sind wir zunächst im Tresor aufgetreten. Später tourten wir quer durch ganz Deutschland. Wenn man beispielsweise nur als DJ gebucht wird, muss man unheimlich publikumsorientiert arbeiten. Als Gruppe, in der sich alle kannten und mochten, ging es viel leichter, Sachen auszuprobieren, die du normalerweise nicht gemacht hättest. Der Rückhalt in unserem Ocean-Club-Team hat die Individualität einzelner Künstler unheimlich gestärkt.

War das auch der Grund, später eine Messe und ein Konzert von und für die Berliner Musiklandschaft zu veranstalten?

Da muss ich etwas ausholen. Die 1980er bestanden aus Punk und der Neuen Welle, die 1990er waren klar von Techno dominiert. Die 2000er Jahre stehen aber für eine große Gemeinschaft, die etwas auf die Beine zu stellen versuchte. In Berlin und auch in Deutschland wurden 1997–98 unheimlich viele neue Labels gegründet, eine neue Musikszene entstand. Man spürte, dass die Verbreitung der Musik irgendwie unabhängiger werden musste. Für Insider war dies offensichtlich. Deshalb auch die Radioshow, denn es gab plötzlich viel neue Musik aus Deutschland, die wirklich interessant und gut war. 1997 habe ich auch mein Monica-Enterprise-Label gegründet.

Dieser neuen Musik wollten wir eine Plattform bieten. Die erste Veranstaltung in der Volksbühne war Kompakt gewidmet, weil wir dieses tolle Kölner Label in Berlin vorstellen wollten. Später kam unser Launch des Labels Mute. Dann haben wir uns gedacht: „Ok, was haben wir hier eigentlich in Berlin selber zu bieten?“ Das war die Geburt von Marke B. Erst mal hieß es noch Bärenmarken. Wir haben diese Events kuratiert und vorher die Labels ausgesucht. Es waren viele ganz kleine Labels dabei, die auch dadurch musikalisch ganz verrückte Sachen gemacht haben. Marke B wurde nun unheimlich erfolgreich.

Wie lange ging es so weiter? Die letzte Marke B war dann in der Maria am Ostbahnhof?

Zu der vierten und letzten Marke B wurde die Berliner Musikszene schon groß und hat sich auch im Wesentlichen verselbstständigt. Die Labels wurden unheimlich bekannt, wie zum Beispiel BPitch Control. Sie sind gar nicht mehr selber gekommen, sondern haben die Praktikanten geschickt. Am Anfang wusste aber gar keiner, was Berliner Musikszene ist, deswegen waren die Marke B-Veranstaltungen extrem wichtig. Es war ganz gut die Musiklandschaft regelmäßig in einer gebündelten Form zu präsentieren.

Ocean Club hat die Marke B-Reihe als Radiosendung zunächst überlebt. In diesem Sommer wurde die Sendung schließlich aus dem radioeins-Programmplan gestrichen.

Der Ocean Club hat ein sehr gutes Standing in der Radiolandschaft von Berlin. Aber es musste ganz schnell unheimlich viel Geld eingespart werden. Ich hab mich dann echt gewundert, dass man nach 15 Jahren doch so schnell rausfliegen kann.

Urbane Themen waren bei Ihnen eine Zeit lang sehr stark präsent. Das Baustelle-Projekt mit Antje Greier und später die City Splits, die im Berliner Club Ausland mit Jasmina Maschina und Golden Disco Ship starteten …

Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun. Nach meiner Solo-Platte I Put A Record On traf ich 2008 in Moskau bei einem Konzert während des Literaturfestivals Antje Greier und wir haben uns sofort sehr gut verstanden. Ein paar Monate später wurde Antje von BBC eingeladen, um ein Recording-Projekt mit einem Partner aus Berlin zu machen. Sie hat die vorgeschlagenen Partner abgelehnt und gesagt, sie möchte das gerne mit mir machen. Wir haben für BBC Late Night vier Tracks gemacht. Das hat so viel Spaß gemacht und ging so leicht, dass wir gesagt haben – da müssen wir noch mehr machen. Wir nannten uns in Greier Gut Fraktion um und das Baustelle-Projekt war geboren.

Die City Splits-CD, die ich bei Monika rausgebracht habe, hatte nichts mit dem Baustelle-Projekt zu tun. Ich wollte schauen, was ist denn in den Städten los? Ich hatte eigentlich als erstes Los Angeles im Auge, da dort viele Musikerinnen aktiv sind. Dann sagte ich mir: „Ne, Berlin ist die bessere Variante davon!“ Jasmina Maschina und Golden Disco Ship gingen gerade zusammen auf Tour und so hat es sich angeboten City Splits mit den beiden zu machen.

Hat sich die Idee hinter Ihrem Label Monika Enterprise mit der Zeit geändert?

Mein Anliegen war mit dem Label gute Künstlerinnen zu fördern und zu veröffentlichen. Wir haben beispielsweise drei 4 Women No Cry-Compilations in unserem Katalog. Die Idee dieser Compilations war, dass aus unterschiedlichen Ländern stammende Produzentinnen und Künstlerinnen zueinander finden und zusammen arbeiten.

Jetzt ist das Label für mich zweitrangig geworden. In den letzten Jahren hat das wahnsinnig viel Arbeit gemacht. Ich habe damit zwar nie Geld verdient, aber es hat sich am Anfang zumindest getragen. Nach der Musikkatastrophe in den letzten Jahren, wo alle Vertriebe auf einmal Pleite gingen, ist es zu einem großen Kostenfaktor geworden. Jetzt habe ich die Labelaktivitäten eingefroren. Die letzte Platte kommt im Augenblick von Barbara Morgenstern und heißt Sweet Silence. Barbara ist auch bekannt genug, so dass ich die Promotion abgeben konnte. Dann kommt noch mein neues Album wildlife.

Mein Ziel ist momentan eher, meine eigene künstlerische Karriere weiter fortzusetzen. Ich glaube, dass Labels zu einem Dienstleistungsbetrieb geworden sind. Das interessiert mich nicht. Ich kuratiere gerne und entdecke interessante Sachen, aber eine Neuveröffentlichung ist heutzutage eine finanzielle Katastrophe. Das ist einfach zu teuer. Und das müssen die Künstler selber machen.

Wie kann man heute Musikern helfen, die vielleicht in vergleichbarer Lage sind, wie in den Neunzigern? Oder sind diese Zeiten nicht vergleichbar?

Die sind nicht vergleichbar. Und ich glaube, der Künstler muss sich heutzutage genauso selber kümmern, wie ich mich damals gekümmert habe. Auch mit Malaria! haben wir die ersten Konzerte selber gebucht. Es bedarf auf jeden Fall der Eigeninitiative. Man kann nicht im Kämmerlein sitzen und darauf warten, dass jemand einen anspricht. Das wird nicht passieren. Die Möglichkeiten sind heute auch viel größer. Guck mal, damals brauchte man als Künstler unbedingt ein Label, um eigene Sachen zu veröffentlichen. Es hilft natürlich, wenn einer ein gutes Label hat, aber der Künstler ist heute in der Lage sich selber zu organisieren und aufzustellen: Platten pressen, Promoter engagieren und gut ist.

Man hat Sie zuletzt im lokalen, gar hyperlokalen Kontext erlebt: UM-Festival, Datscha-Radio…

…mein neues Album heißt ja Wildlife und ich fand dieses „zurück zum Land“ unheimlich passend. Uckermark ist Stadt light: Wir haben schnelles Internet und man kann hier wunderbar arbeiten. Ich war immer ein Stadttyp und bin nun völlig verblüfft, dass das Leben auf dem Land ein neues extrem wichtiges Ding für mich ist. Es gibt andere Qualitäten, die diese Natur für mich plötzlich gebracht hat. Ich wollte auch unbedingt, dass meine Best Garden EP als Vorabveröffentlichung noch im Sommer rauskommt. Das Album ist fertig, wird aber erst im Oktober released… da ruht der Garten schon.

Auf Ihrer Best Garden EP hört man auch solche Zeilen wie „Ein Garten, der sich lohnt, weil er in Dir wohnt.“ Ist das eine Art Introvertiertheit, die da besungen wird?

Man muss gucken, dass man sich nicht total verliert in anderen Dingen. Durch die Schnelligkeit des Computers reißt man heute innerhalb kürzester Zeit eine Arbeit weg, die früher gar nicht möglich gewesen wäre. Aber Introvertiertheit ist das nicht. Ich bin ja eine emanzipierte Frau und ich finde es nicht gut, wenn die Frau das Immanente ist, sondern ich finde die Transzendenz genauso in der Natur drin … Ich springe auch gern ins Wasser. Ich bin auch nicht die, die nur auf sich selbst guckt. Ich finde eine politische Haltung wichtig, aber ohne dass die Tagespolitik in die Kunst eingehen müsste.

Im Originaltrack der Best Garden EP wird die Strophe nochmal Englisch gesungen. Woher kam diese Idee?

Ich weiß gar nicht, wie es gekommen ist, aber es sind viele deutsche Texte auch auf dem Longplayer dabei. Ich habe unheimlich viele englischsprachige Freunde, die kein Deutsch sprechen. Ich wollte all denen auch was sagen.

Wie ist das „Wildlife“-Album überhaupt entstanden?

Die Arbeit hat in etwa ein Jahr gedauert. Technisch habe ich das hauptsächlich mit Laptop realisiert. Ich habe sehr viele Aufnahmen mit einem Raummikro gemacht und ansonsten alles selber aufgenommen und arrangiert. Von Daniel Meteo kamen die Gitarrenspuren. Gegen Ende konnte ich die Stücke nicht mehr hören, denn immer wollte ich hier oder da etwas ändern. Da war ich froh, dass Jörg Burger hinzugekommen ist und mehr als die Hälfte der Platte gemischt hat. Ich habe das Wildlife-Album während des UM-Festivals 2012 dann zum ersten Mal öffentlich gespielt, selber seit längerem wieder gehört und war glücklich. Es passte alles.

Auf Einladung des Goethe-Instituts spielen Sie Ende September 2012 in Moskau. Wie haben Sie diese Stadt bis jetzt erlebt?

Ich war das erste Mal in den 90ern mit Matador auf einem Zwischenstopp in Moskau. Und da dachte ich „Uh, Hilfe!“. Dagegen erlebte ich Moskau 2008 als eine unglaublich lebendige Stadt. Da geht unheimlich was ab. Es gibt natürlich auch viele Schwierigkeiten: allein die bekannte Pussy-Riot-Geschichte. Aber als Stadt ist es natürlich traumhaft, eine wunderschöne Stadt. Unheimlich viele tolle Leute habe ich dort kennengelernt.

Frau Gut, haben Sie vielen Dank für das Interview!

Gudrun Gut, eine deutsche Musikerin und Produzentin, studierte visuelle Kommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Anfang der achtziger Jahre war sie Teilnehmerin der Kunstrichtung „Geniale Dilletanten“ und Solistin der Musikgruppen Mania D und Malaria! und wurde dadurch zur Schlüsselfigur der Neuen Deutschen Welle. Gudrun spielte in der ersten Besetzung „Einstürzende Neubauten“, durch deren Tonexperimente die Musikrichtung Industrial entstand. 1994 gründete die Künstlerin Oceanclub und brachte damit damalige Spitzenreiter im Genre Elektro unter einen Hut. Zwischen 1997 und 2012 existierte Oceanclub in der Gestalt einer Sendung über elektronische Tanzmusik Radio „Eins“ in Berlin. Gudrun Gut´s Label Monika Enterprise ist bereits länger als 10 Jahre im Bereich Elektromusik erfolgreich.

Die Fragen stellte Andreas Fertig.

Copyright: Goethe-Institut Russland
Online-Magazin „Deutschland und Russland“
September 2012

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.

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